Am 31. Oktober war es für die B-Jugend des SV Dessau 05 soweit. Das Spiel „des Jahres“ gegen Dynamo Dresden II fand im Schillerpark vor knapp 150 Zuschauern statt. Eine beachtliche Kulisse! Wer kann denn schon behaupten, im Jugendbereich vor so vielen Zuschauern gespielt zu haben? Anschließend fuhren die Jungs von Teamchef Richard Selka dann letztes Wochenende in die Hauptstadt und kickten dort vor 30 Zuschauern gegen die Füchse aus Berlin. Auf der Rückfahrt dann die Gespräche: Am kommenden Freitag gegen den 1. FC Magdeburg – lieber im Stadion oder lieber im Schillerpark? Immerhin konnten die 05er die Gegner auf dem kleineren Kunstrasenplatz im Schillerpark oft lange in Schach halten. Doch man war sich einig: Freitagabend gegen den ungeschlagenen Tabellenführer? Dann lieber im Stadion unter Flutlicht.

Die Entscheidung sollte sich gelohnt haben. Am Kassenhäuschen durfte man dann gestern Abend nicht schlecht geschaut haben, als plötzlich zwei junge Männer, mit blauer Mütze und blauem Schal, vorbeikamen und sagten: Ja, also wir sind etwas mehr als 300 Leute. Kein Witz! Eine riesige Menge an FCM-Fans machte sich auf den Weg, um das U17-Spiel der Blau-Weißen im Dessauer Paul-Greifzu-Stadion zu verfolgen! Das kommt tatsächlich gar nicht so selten vor. Immerhin hat die aktive Magdeburger Fanszene in dieser Saison schon ein anderes Spiel der U17 supportet, nämlich das im DFB-Pokal gegen RB Leipzig. Zuletzt war beispielsweise auch ein größerer Pöbel aus Aue unterwegs, um ebenfalls ein Jugendspiel zu besuchen. Die Fangruppierungen nutzen unter anderem auch die Gelegenheit, unter fanfreundlichen Bedingungen gemeinsame Fahrten zu bestreiten. Ohne ständige Überwachung und diverse Kontrollen. Hinzu kommt, dass gerade die jüngeren FCM-Fans noch kein Pflichtspiel im Dessauer Paul-Greifzu-Stadion besucht haben dürften und die älteren sich vermutlich gerne an vergangene Schlachten gegen den FC Anhalt Dessau zu Oberliga-Zeiten erinnern. Der Hauptgrund war aber letztlich ein anderer. Die Fangruppierung „Blue Generation“ feiert ihr 20-jähriges Jubiläum und nutzte das gestrige Aufeinandertreffen als günstige Gelegenheit, im Block eine ordentliche Party zu feiern.

Zu Beginn der Partie verwandelte sich das altehrwürdige Stadion kurze Zeit in einen Hexenkessel, den wir so nur von Bildern aus Belgrad oder Südamerika kennen. Bunter Rauch von allen Seiten, Bengalos in den Händen der Fans und Raketen knallten durch den Dessauer Abendhimmel. Eine kurze Spielunterbrechung. Leuchtende Augen bei den jungen FCM-Spielern, aber auch bei den Dessauer Kickern. Mit Fug und Recht kann man wohl behaupten: Das Highlight des Jahres hat sich für den SV Dessau 05 zwei Wochen nach hinten verschoben!

Party auf den Rängen, Schlacht auf dem Rasen! Übrigens: Apropos Belgrad…
Ein Magdeburg-Fan sprach über Megaphon an den restlichen Anhang: „Das Lied was jetzt folgt, das ertönte als Erstes in unserer Kurve und wurde später von Roter Stern Belgrad übernommen. Daraufhin ein großer Jubel von den Fans und anschließend das gemeinsame Anstimmen des Liedes. Dazu sei gesagt: Die Kurven aus Belgrad, Roter Stern und Partizan, zählen zu den größten und berüchtigtsten Fanlager in Europa. Viele Lieder, Choreografien und sonstige Aktionen, die man aus den Fanblöcken in Deutschland kennt, haben ihren Ursprung im Balkan-Gebiet. So viel dazu. Auf dem Rasen packte derweil Samuel Hensen vom SV Dessau 05 die erste Grätsche aus.

Ein Blick auf die Tabelle spiegelt die Ausgangslage beider Teams deutlich wieder. Die 05er, bisher mit einem Punkt auf dem letzten Tabellenplatz. Der 1. FC Magdeburg, alle Spiele gewonnen auf Platz 1. Doch die Dessauer Abräumer-Mentalität sollte sich auch bis in die Landeshauptstadt herumgesprochen haben! Ziemlich oft in dieser Saison haben die Schwarz-Weißen zumindest bis zur Halbzeit stark dagegengehalten. Und auch am gestrigen Freitagabend machten das die Jungs, ja und das kann man schon mal so sagen, überragend. Klar, im Offensivspiel ging wenig bis gar nichts, doch wenn der Tabellenführer mit seinen Top-Stürmern anreist, da hätte man auch damit rechnen können, dass die Partie nach 30 Minuten bereits entschieden ist. Doch weit gefehlt. Mit Carlos Krüger haben die Magdeburger definitiv einen der gefährlichsten Kicker im Bundesland. Der 16-Jährige erzielte in drei Spielen bereits fünf Tore und spielt ansonsten schon in der A-Jugend Bundesliga mit. Doch Nick Bauer vom SV Dessau 05 hätte das Stürmertalent komplett im Griff. Nur einmal tankte sich Krüger durch und schoss gefährlich auf das Tor, aber diesmal hielt 05-Keeper Rafael Reichert glänzend. Doch das war die einzig nennenswerte Aktion vom Tabellenführer. Die Hausherren verteidigten clever und so gingen beide Teams beim Stand von 0:0 in die Halbzeit. Derweil wurden auf der Tribüne die nächsten Rauchtöpfe angezündet.

Pyrotechnik im Stadion und speziell im Jugendbereich ist sicherlich ein polarisierendes Thema. Team Sportstadt vertritt jedoch eine klare Haltung und befürwortet jegliches kontrolliertes Abrennen dieser Fackeln. Gerade unter Flutlicht ist Pyrotechnik der Hingucker schlechthin und gepaart mit toller Stimmung ergibt es eben die südländische Atmosphäre, die von Vereinen und Medien allzu oft in den Mund genommen wird. Auch die Kicker auf dem Rasen waren keine Weichspüler und trotzten der riesigen Nebelwand. „Ich seh grad nicht wirklich, was bei uns im Strafraum passiert, aber es ist einfach nur geil“, reagierte Teamchef Selka bei einer weiteren kurzen Unterbrechung. Inzwischen waren auch im zweiten Durchgang etliche Minuten gespielt. Die FCM-Trainer wurden langsam aber sicher hektisch und auch laut. Hier eine typische Spielszene:

Sechs 05-Spieler versammeln sich direkt vor dem eigenen Torwart. Ein Gästestürmer versucht vergeblich, die Murmel über die Linie zu bekommen, doch wieder einmal war es Nick Bauer, der den Ball nach vorne gejagt hatte.

Dem Gegner zwar spielerisch nicht wirklich viel entgegenzusetzen, aber ihn mit einem unermüdlichen Kampfgeist zur Verzweiflung zu bringen, ist eben auch eine Qualität. Jedes „Nachvorne-Dreschen“ wurde inzwischen auch von den Dessauer Fans bejubelt. Knapp fünf Minuten vor dem Ende war es dann aber soweit. Ausgerechnet ein Eigentor brachte den Tabellenführer nun mit 1:0 in Führung. Parallelen aus unzähligen Spielen wurden wieder einmal deutlich. Da spielst du eine tolle erste Halbzeit, hältst ewig gut dagegen und entweder bekommst du dann einen Elfmeter, schießt ein Eigentor oder ein Sonntagsschuss aus 30 Metern segelt herein. Alles war schon dabei und auch gegen den 1. FC Magdeburg endete die Partie wieder maximal bitter für die 05er. In der Schlussminute netzte dann auch noch der eingangs erwähnte Carlos Krüger zum 2:0-Endstand für Blau-Weißen aus der Landeshauptstadt ein.

Am Ende sicherlich, aufgrund der guten Schlussphase vom FCM, ein verdienter Sieg für die Gäste. Doch über ein Unentschieden hätte sich die Magdeburger trotz der mächtigen spielerischen Überlegenheit sicherlich auch nicht beschweren dürfen.

Tolle Szenen auch nach dem Spiel. Ein Vertreter der Magdeburger Fans brachte ein paar Karten und Sticker zur Mannschaft vom SV Dessau 05 und machte ein Angebot. Teamchef Selka fasste sich bei der Spielanalyse diesmal ziemlich kurz und verriet anschließend im Spielerkreis: „Jungs, die FCM Fans haben heute für mächtig Stimmung gesorgt. Wieder mal ein Erlebnis, was ewig in euren Köpfen bleiben wird. Ihr habt euch toll geschlagen und könnt stolz auf euch sein. Wir haben das Angebot, auch mit den Magdeburger Fans einzuklatschen“. Kurz darauf versammelten sich die 05er neben den FCM-Spielern und verabschiedeten sich gemeinsam vom Magdeburger Anhang.

Was für ein Erlebnis für alle Beteiligten! „Wow. So viele Fans und das bei einem U17-Spiel. Ich bin sprachlos und freue mich, gleich eingewechselt zu werden“, sagte 05-Spieler Yannic Bergt in der Halbzeitpause und auch Teamchef Selka wird die Partie wohl noch einige Zeit in Erinnerung bleiben: „Wahnsinn. Da dauerts auch erstmal, die richtigen Worte zu finden. In anderen Ligen spielst du oft nur vor 20 oder 30 Zuschauern und jetzt plötzlich die zehnfache Anzahl, Pyrotechnik auf den Rängen und lautstarke Stimmung, so dass dich die Mannschaft auf dem Rasen kaum noch hört. Für mich persönlich war das heute ein unglaublich aufregendes Spiel und ich denke für meine Spieler ebenso“.

Allerdings fügt Selka hinzu: „Ich muss aber auch dazu sagen, wir spielen hier in der Regionalliga und ich habe dem Verein und vor allem auch meinen Spielern gegenüber hier eine große Verantwortung. Während des gesamten Spiels habe ich versucht, das Geschehen auf den Rängen auszublenden und mich auf die Partie zu konzentrieren. Nach dem Abpfiff bin ich aber auch selber, nicht nur zu unseren Zuschauern, sondern auch zu den FCM-Fans gegangen, hab mich für die tolle und auch faire Stimmung bedankt.

Als Nächstes trifft der SV Dessau 05 dann in der Regionalliga auswärts auf Tennis Borussia Berlin. Dann sicherlich auch wieder mit etwas weniger Rahmenprogramm.

Bilder: ©Team Sportstadt