Es ist mal wieder Zeit für einen kleinen Rückblick. Fast auf den Tag genau vor acht Jahren flog ich mit meinem Kumpel Martin nach Belgrad zum Derby aller Derbys. Man bezeichnet die Partie zwischen Roter Stern Belgrad und Partizan Belgrad auch als die „Mutter“ aller Derbys. Inzwischen, bzw. eigentlich auch schon zu der Zeit, als wir da waren, ist aber ein ziemlicher Hype um diese Partie ausgebrochen, so dass man sich als Tourist teilweise auch ein wenig verarscht vorkommt. Tickets bekommst du dann für den zehnfachen Preis angeboten und sogenannte Groundhopper werden auf eigens dafür vorgesehenen Tribünen „abgeladen“. Jedoch war die Reise trotzdem sehr erlebnisreich, gerade weil wir auch andere Aktivitäten unternommen haben und auch beim Basketball so Einiges erlebt haben.

Woran kann ich mich noch erinnern? Spontan an nicht mehr viel. Jedoch weckt der Anblick diverser Bilder direkt die tollsten Momente und Gedanken, als wäre es erst gestern gewesen. Für Martin war es der erste Besuch in Serbien. Ich war ein Jahr zuvor, also 2012, als Jungspund mit einem anderen Kumpel schon mal in Belgrad. Vergleiche ich beide Foto-Alben, stelle ich fest, dass wir zweimal exakt haargenau die gleichen Dinge unternommen haben. Auch das älteste Krokodil der Welt (inzwischen leider gestorben), hatte sich den Bildern zu Folge, anscheinend ein Jahr lang nicht bewegt.

Ein Jahr zuvor mit Kumpel Max in Belgrad.

Als ich mit Martin also in den Flieger stieg, war die komplette Reise schon auf Sport und Fussball getrimmt. Martin hat sich dem Anschein nach im Flieger Fussballberichte von Hansa Rostock durchgelesen, während ich mich vor Aufregung sicherlich drei Stunden lang an die Sitzlehne geklammert hatte. In Belgrad angekommen ergab sich dort ein wirklich erstaunliches Stadtbild. Da sind die wirklich schönen Ecken, aber auch die ziemlich gruseligen Ecken. Im Vorfeld der Reise habe ich uns bewusst in eines der besten Hotels in Belgrad einquartiert, weil diese einem auf der Suche nach Tickets für das Belgrader Derby enorm helfen können. Die Partie ist in der Regel ausverkauft und so ist es gut, wenn man gerade als unerfahrener Fussball-Tourist vorher eine gewisse Sicherheit hat. Später hat man dann auch herausgefunden, dass die eingefleischten Hopper, die schon seit 17 Jahren zu diesem Spiel fahren, da eher weniger Heckmeck betreiben. So lernten wir eine Gruppe von Chemnitzern kennen, die am Tag des Derby mit dem Auto angereist waren, kurzerhand zum Ticket-Schalter gegangen sind und dort mit einer Mischung aus Deutsch-Serbisch-Englisch erfolgreich zuschlugen. Uns holte jedoch der Hotelchef persönlich ab und erzählte uns, dass die Gegner von Roter Stern oder auch Partizan regelmäßig im besten Hotel der Stadt übernachten, nämlich im City-Hotel in Belgrad. Dort waren auch wir untergebracht. Ein wirklich tolles Hotel und irgendwie bin ich immer noch total begeistert, wie gut das damals alles geklappt hat.

Am Frühstückstisch des City-Hotels.

Wie ihr im Bild erkennen könnt, ein durchaus modernes Hotel und dann die absoluten Bruchbuden gegenüber. Aber so ist das eben in der Balkan-Gegend. Mich würde das wirklich mal interessieren, ob das immer noch so ist oder ob sich in Belgrad in dem Sinne etwas getan hat. Aber nicht falsch verstehen, wir haben uns praktisch trotzdem in die Stadt verliebt, eben weil hier nicht alles schickimicki ist. Als wir auf unser Zimmer gebracht wurden, erwartete uns die erste Überraschung. Wir wussten ja, dass neben dem Fussballspiel noch ein durchaus interessantes Basketballspiel am Wochenende angesetzt war. Immerhin spielte Roter Stern Belgrad in der Euroleague gegen Panathinaikos Athen. An Basketball-Tickets heranzukommen ist aber vergleichbar mit einem Sechser im Lotto. Man muss wissen, dass die Basketballteams in Osteuropa zu den Besten außerhalb der USA gehören. Basketball hat daher in Serbien oder auch Griechenland einen höheren Stellenwert als der Fussball. Im Fussball war man lange Zeit nur Mittelmaß und konnte den West-Europäischen Teams ganz und gar nicht das Wasser reichen, während Teams wie Bayern München oder Mailand beim Basketball gegen Belgrad oder Athen chancenlos sind. Inzwischen, also acht Jahre später, haben sich die Machtverhältnisse aber etwas angepasst. Nun ja, jedenfalls kommen wir in unser Hotelzimmer rein und was liegt da für uns parat?

Neben den Derbytickets hatte der Hotelchef auch Dauerkarten für das Basketballspiel besorgt. Freie Tickets gab es gar nicht, so dass man nur als Dauerkarten-Inhaber zu diesen Spielen kommt. Im Gegensatz zum Fussballderby, wo man praktisch auf einer Hopper-Tribüne neben vielen anderen Fussballtouristen sitzt, ist man beim Basketball in Mitten der Hardcore-Fans. Und das war praktisch auch unser erstes geiles Erlebnis in Belgrad. Der Abend des Basketballspiels. Es war wirklich so spannend. Schon auf dem Hinweg begaben sich unzählige Roter-Stern-Banden zur Halle und wir taten wirklich alles, um nicht aufzufallen. Brecher und Muskelprotze an jeder Ecke und wir taten einfach so, als ob wir dazugehören. Warum betone ich das so stark? Naja, also die Serben oder allgemein die Osteuropäer sind kein großer Fan davon, wenn man sich als „Touri“ einfach so in den Heimbereich stellt und da den Macker macht. Ist aber in Deutschland genauso. Das möchte man glaube nirgendwo. Und hinzu kommt, dass man das „Fan-Dasein“ Belgrad noch ein wenig (oder auch viel) schärfer auslebt, als bei uns. Jedenfalls erhoffte ich mir geile Haupttribünen-Plätze. Doch tatsächlich kam es dann ein wenig anders. Die aktive Fanszene, inklusive der ganzen Brecher, befand sich über uns im Oberrang. Die einzelnen Sektionen und Fanclubs waren dann direkt darunter. Wir standen dort mittendrin und waren demnach auch gezwungen, die ganzen Lieder mitzusingen, zu klatschen oder zu hüpfen. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Im ersten Moment war ich super aufgeregt und musste irgendwie auch aufpassen, dass Martin uns nicht verrät. Dieser war nämlich viel weniger angespannt als ich und blieb einfach locker. Auch in der Situation, in der mir das Herz stehen geblieben ist. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Da wedelte einer der „Oberultras“, denen bald das T-Shirt platzte, weil der Bizeps so groß war, mit einer Fahne und diese fiel herunter. Direkt hinter uns. Ich hoffte einfach ganz stark, dass die Fahne irgendwer aufhebt und die Sache schnell erledigt sei…

Es kam aber so, dass Martin von den Leuten oben angesprochen wurde und er dann ganz lässig die Fahne zurück gab. Wenn mich nicht alles täuscht war das sogar so, dass die Leute in der Halle auch geraucht haben (ist nicht wirklich verwunderlich, da die auch Bengalos in den Hallen abbrennen) und Martin dann auch noch jemanden nach Feuer gefragt hatte. Okay, also da diese Situationen alle „problemlos“ gemeistert wurden, viel auch bei mir irgendwann die Anspannung ab. Ich weiß auch noch, dass ich irgendwann lachend im Block stand, weil wir lautstark auf serbisch die Fanlieder mitgesungen hatten. Übrigens fällt mir jetzt, wo ich das Bild vom Basketball in den Beitrag platziert habe, auch ein, weshalb das Spiel für beide Fanszenen so wichtig war. Man erkennt nämlich eine Zaunfahne von Olympiakos Piräus im Heimbereich. Na klar. Die sind nämlich befreundet mit Roter Stern Belgrad. Und der große Feind von Piräus ist Panathinaikos Athen. Der Gegner des Spiels. Ist zwar ein wenig über drei Ecken gedacht, aber so könnt ihr verstehen, weshalb die ganze Aufregung entstanden ist. Keine Ahnung, wer das Spiel gewonnen hat. Glaube aber Belgrad hatte verloren. Ein spektakulärer Tag, der aber noch getoppt werden sollte. Den Folgetag verbrachten wir ganz lässig mit einem Stadtbummel.

Was wir genau gemacht haben, daran kann ich mich nicht mehr gut erinnern. Kann man aber den Bildern des Albums entnehmen. Wir waren im Zoo und anscheinend im Stadtpark. Am Tag darauf war es endlich soweit. Das große Derby! Der Hotelchef warnte uns. Immerhin sind bei Banden-Angriffen in der Nacht zuvor zahlreiche Personen im Krankenhaus gelandet und die Derby-Gesetze sind, auch wenn man Fussballtouristen auf der Hopper-Tribüne anscheinend duldet, eben doch andere. Wir waren gut beraten, einfach einer riesigen Masse an Roter-Stern-Fans in Richtung Stadion zu folgen. Was man rechts und links für Typen sah ist kaum zu beschreiben. Nun war auch Martin sichtlich aufgeregt. Ein paar Meter vor uns explodierten die Böller, Kämpfe mit der Polizei, Hubschrauber und gefühlt mehrere tausend Jugendliche in grauen Pullovern, die auf der Suche nach Gegnerfans waren. Hört sich so an, als wenn bei uns Dynamo Dresden gegen Hansa Rostock spielt, aber es war alles noch ein Zacken schärfer. Es hat eben seine Gründe, weshalb dort hunderte Leute zum Groundhoppen hinfahren. Die ganze Geschichte ist dabei noch nicht erzählt. Die Partizan-Fans, die natürlich genauso gefürchtet sind, unterteilen sich noch einmal in zwei Lager. Ich bin mir nicht zu einhundert Prozent sicher, wie genau das zusammenhängt (wer das wissen will, googelt einfach mal), aber das eine Lager supportet wohl den Präsidenten des Clubs sehr stark und das andere ist eher im Untergrund aktiv und teilweise auch in diverse Machenschaften verstrickt, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte. Und so ergab sich im Stadion ein komplett absurdes Bild. So viele Eindrücke. Keine Ahnung, worüber man als erstes berichten soll. Da waren die Roter Stern Fans, die zu Beginn des Spiels hunderte Bengalos und Rauch zündeten und auf der anderen Seite gab es einen riesigen Partizan-Block und noch einmal einen separaten Block, ebenfalls mit Partizan-Hardcore-Fans. Diese mussten aber nach links und rechts schauen. Pöbelnde Roter-Stern-Fans und Bierbecher flogen von der einen Seite an, Raketen und Leuchtspuren kamen aus dem anderen Partizan-Lager. Ja, die hassen sich richtig und da ist es auch egal, dass man den gleichen Verein supportet.



Wir wussten ja irgendwie schon, was uns da erwartet, aber es war einfach noch viel heftiger, als man es sich vorgestellt hat. Da fliegen Bengalos in alle Richtungen, Leuchtspuren überall, roter Rauch, schwarzer Rauch und Böller auf das Spielfeld. Uns kippte die Kinnlade herunter und die Ordner und auch die Polizisten stehen gelangweilt am auf ihren Plätzen. Die sind das eben gewohnt. Ein normales Derby halt. Neben uns war ein Amerikaner, der irgendwie auch durch Zufall Tickets erhielt und uns erzählte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben ein Fussballspiel besucht. „Oh man. What the Fxxk is going on here?“. Der wusste überhaupt nicht wie ihm geschieht. Ich habe Martin nach seiner Top-Erinnerung an unsere damalige Reise gefragt. Er antwortete spontan: Die Dauerkartengeschichte des Basketballspiels, der Ami neben uns im Block beim Fussball und die „riesigen Flammen im Partizan-Block“. Was ist mit Letzterem gemeint? Ja, also Roter Stern gewann das Spiel und Partizan hatte auf dem Platz nicht den Hauch einer Chance. Die Partizan-Fans entschlossen also, ihre Choreo-Materialien allesamt zu verbrennen. Wie bei einem Osterfeuer bildete sich auf einmal eine meterhohe Flamme in deren Block. Und auch da wieder: Die Partizan-Fans stehen einfach daneben und schauen weiter das Spiel. Die Ordner stehen gelangweilt davor. Erst nach mehreren Minuten kommt ein einzelner Feuerwehrmann mit seinem Schlauch und versucht das Feuer zu löschen.

Unglaublich. Was für Eindrücke…
Nach dem Spiel sind wir dann ins Hotel und haben wohl noch Stunden über die gesammelten Eindrücke geplaudert. Ich war ja nun echt schon bei vielen Sportveranstaltungen und bei vielen Fussballspielen, aber was wir da erlebt haben, wird so sicherlich nicht noch einmal vorkommen. Neben den ganzen Pyro-Krams war es aber auch die Stimmung und allgemein das Stadion und das Drumherum, was uns so begeistert hat. Auch die Menschen, die wir kennengelernt haben. Es war einfach eine tolle Reise!