Was da am vergangenen Samstag in der Wittenberger Stadthalle abging, klingt so, als hätte sich das ein Tatort-Regisseur ausgedacht. Das Spiel zwischen dem SV Grün-Weiß Wittenberg-Piesteritz und der SG Kühnau wird einigen wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Doch der Reihe nach…
Zunächst begann der Tag ganz entspannt. Während des Vorspiels zwischen Wittenberg II und Quedlinburg muss Armands Uscins wohl tausend Mal die selbe Geschichte erzählt haben. Der lettische Handball-Nationaltrainer, der gleichzeitig auch der Trainer von Wittenberg-Piesteritz ist, kam erst in den letzten Tagen zurück nach Sachsen-Anhalt gereist. Zuvor hatte er Lettland bei der Europameisterschaft betreut. „Glückwunsch, schade, wie wars? Erzähl mal..“ Uscins nahm sich aber für jeden Fragensteller die Zeit, ehe er dann zu seinem Team in die Kabine ging. Die Aufgabe für seine Mannschaft schien machbar zu sein. Immerhin sind die Wittenberger Tabellenführer in der Sachsen-Anhalt-Liga und zu Hause ungeschlagen. Der Gegner, die SG Kühnau aus Dessau, hatte zudem bislang alle Auswärtsspiele verloren.
Doch es kam anders als erwartet. Grischa Vodotinski brachte die Gäste nach acht Minuten mit 3:5 in Führung. Bis dato fanden die Hausherren gegen die gut stehende Kühnauer Abwehr keine Mittel. Anschließend folgte der Wittenberger Ausgleich und dann die nächste gute Phase der SG Kühnau. Dominic Luge in der 12. Minute zum 6:9 für die Dessauer. Wittenberg fand weiterhin überhaupt nicht in das Spiel hinein und so erhöhte Pascal Hernig den Vorsprung für die Gäste kurz vor der Halbzeit auf 11:15. Die Kühnauer hätten vor dem Pausentee sogar noch auf 12:17 davonziehen können, doch stattdessen war diesmal der Wittenberger Torwart zur Stelle. Nach einem schnellen Pass auf Sebastian Engel verkürzte dieser direkt mit der Halbzeitsirene nach einem sehenswerten Wurf aus knapp 13 Metern zum 13:16.
Nun anschnallen! Die zweite Halbzeit wurde turbulent. Zunächst verspielten die Kühnauer bis zur 43. Minute ihre Führung. Matej Ivankovic war zur Stelle und traf zum 21:21-Ausgleich. Doch die SG Kühnau ließ sich davon nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Zwar kassierten die Gäste in der 46. Minute eine Zwei-Minute-Strafe, doch Julian Schilling brachte Kühnau in Unterzahl wieder mit 22:24 in Führung. Es ging hin und her. Wittenberg kämpfte sich vor toller Kulisse in der Wittenberger Stadthalle zurück und glich zum 25:25 aus. Es folgte der vermeindliche „Game-Changer“. Marc Hohenstein, der bis dato das Kühnauer Angriffsspiel als Spielmacher koordinierte, verlor den Ball nach einem Fehlabspiel und versuchte mit einem Sprint in Richtung eigene Hälfte, den Fauxpas gleich wieder gut zu machen. Doch stattdessen gab er seinem Gegespieler während des Sprungwurfes noch einen Stoß mit auf den Weg. Es kam für Kühnau knüppeldick. Nicht nur das der Ball von Philipp Gehlert auch noch zur 26:25-Führung für Wittenberg im Tor landete, zusätzlich kassierte der Kühnauer nach dieser Aktion auch noch die rote Karte. Und das sollte sich folglich auch auf das Spiel der Gäste auswirken. Es schien sehr bitter Kühnau zu enden. Über 50 Minuten hielt man gegen den Tabellenführer gut dagegen und dann führte Wittenberg eine Minute und 15 Sekunden vor dem Ende mit 30:28. Dominic Luge erzielte zwar in der letzten Minute noch den Anschlusstreffer für die SGK, doch an einen Punktgewinn hatte zu diesem Zeitpunkt wohl niemand mehr der gut und gerne 250 Zuschauer geglaubt. Armands Uscins nahm für die Wittenberger 25 Sekunden vor dem Ende die letzte Auszeit.
Doch statt den Siegtreffer zu erzielen, fing Pascal Hernig den Ball ab und erzielte für die Gäste elf Sekunden vor dem Ende den Ausgleich. Nun wurde wild, turbulent und unübersichtlich. Noch sieben Sekunden waren zu spielen, da rast Marcus Kranz auf Höhe der Mittellinie in seinen Gegenspieler herein. Kranz gab an, gestoßen geworden zu sein. Es gab eine Rudelbildung. Die Wittenberger forderten die rote Karte und nach kurzer Beratung folgte dann wohl die einzig richtige Entscheidung. Rote Karte für Marcus Kranz, was gleichzeitig bedeutete, dass Wittenberg einen Siebenmeter zugesprochen bekommt. Kranz den Tränen nah, konnte es nicht fassen. Er saß auf dem Boden und wollte schon gar nicht mehr hinschauen. Den Jubel der Wittenberger Fans muss aber auch er mitbekommen haben. Piotr Bielec verwandelt zum 31:30. Die meisten Spieler der Kühnauer waren natürlich längst im Tal der Tränen angekommen, doch plötzlich erneut Aufregung auf dem Spielfeld. Die Partie war doch längst vorbei? Unfassbar! In der allerletzten Spielsekunde schien nun ein Wittenberger Spieler den Wurf des Torwarts in Richtung Mittelkreis blockiert zu haben. Die Schiedsrichter berieten sich erneut und tatsächlich zückten sie wieder die rote Karte. Die Wittenberger konnten es nicht fassen! Unglaublich. Diese Entscheidung hatte ebenfalls zur Folge, dass die SG Kühnau nach Ablauf der Spielzeit nun noch einen Siebenmeter bekommen hat. Selbstbewusst läuft Dominic Luge mit dem Ball in Richtung Siebenmeterpunkt. Ein wenig erinnerte das an den „Walk of shame“ aus der TV-Serie Game of Thrones. Piffe aus dem Publikum begleiteten seinen Weg. Seine Mitspieler konnten gar nicht hinschauen. Vor dem Spiel erzählte Kühnau-Trainer Frank Reckzeh noch eine Story aus einem vergangenem Spiel, in dem Luge einmal vier Siebenmeter verschossen hatte, beim fünften noch einmal antrat und diesen per Heber drübersetzte. Inzwischen kann Frank Reckzeh darüber lachen, doch in Wittenberg muss auch er nun ein mulmiges Gefühl gehabt haben. Immerhin hatte sein Rückraumspieler auch in dieser Partie schon drei Siebenmeter verworfen…
…Doch Dominic Luge blieb einfach komplett cool und ballerte den Ball unhaltbar ins Netz. Riesenjubel bei den Kühnauern, die in einem unfassbar spektalulärem Spiel tatsächlich noch den 31:31-Ausgleich erzielen konnten.